Der Pazifist unter den Bildhauern - Hommage an Karl
Röhrig
Alte Liebe vergeht nicht: 30
Jahre nach seiner ersten Hommage erinnert Gerhard Finckh erneut an Karl Röhrig.
Elberfeld. „Das ist
ein bisschen wie beim ersten Kuss. Daran erinnert man sich immer.“ Gerhard
Finckh sagt’s mit einem Lächeln – und denkt nicht etwa allein an die Damenwelt,
sondern an einen ganz bestimmten Mann. Der Leiter des Von der Heydt-Museums
meint die erste Ausstellung, die er vor exakt 30 Jahren betreut hat – und die
galt Karl Röhrig (1886-1972).
Die Premiere im Stadtmuseum
München hat der Kunsthistoriker bis heute nicht vergessen. Was läge also näher,
als Röhrig auch in Wuppertal zu würdigen? Und so gilt: Während Kusserlebnisse
allgemein Privatsache sind, sollen die Besucher des Von der Heydt-Museums an
anderen Erinnerungen durchaus teilhaben.
„Der Mann von der Winterhilfe“: Der Börsenspekulant entlarvt sich
selbst
Dabei hat sich Entscheidendes verändert – sonst wäre die neue
Ausstellung ja auch nichts anderes als das Aufwärmen einer alten Liebe.
Stattdessen soll sie frische Akzente setzen: „Damals, in München, haben wir
quasi alles präsentiert, was Röhrig gemacht hat“, erklärt Finckh. „Nun zeigen
wir das Wesentliche.“
Schließlich will Finckh den Blick pointiert auf das lenken, was
den Pazifisten ausgezeichnet habe: seine sozialkritischen Werke, die er im
Dritten Reich nicht ausstellen konnte. Ab Sonntag sind sie nun im Von der
Heydt-Museum zu sehen. So ist es auch mehr als ein bloßes Lippenbekenntnis,
wenn der Direktor von Karl Röhrig schwärmt wie von einer Jugendliebe: „Röhrig
ist einer der bedeutendsten Bildhauer der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts,
für mich ist er sogar der bedeutendste der 30er Jahre.“
„Der Mann von der Winterhilfe“ (1933) zeigt es vielleicht am
eindrucksvollsten: Mit der Skulptur aus Holz und Aluminium entlarvt Röhrig den
Nazi-Spießer. Er zeigt einen reichen Mann, der nicht nur einen dicken Bauch und
eine Zigarre im Mund, sondern ganz offensichtlich auch die Überzeugung hat,
sich neben einer Anstecknadel auch gleich einen Heiligenschein erkauft zu
haben. Ein kleiner Obolus für das Winterhilfswerk macht ihn jedoch noch lange
nicht zum großen Menschenfreund. Im Gegenteil. Die Zeitung, die – mit der
Wirtschaftsseite nach oben – aus der Manteltasche hängt, verrät’s: Es ist ein
Börsenspekulant, der sein Fähnchen zur rechten Zeit in den Wind hängt und als
Kriegsgewinnler aus der allgemeinen Not Profit schlägt.
Satire
im Museum: Spießbürger beim Sonntagsspaziergang
Auch die
„Autofahrt“ und der „Sonntagsspaziergang“ – beide Skulpturen entstanden 1932 –
sind an Sarkasmus kaum zu überbieten. Sie stehen für den Spießbürger und seine
verlogene Moral. Die Collagen-Form war in der Bildhauer-Szene eine echte
Neuheit. Bedeutend, so Finckh, seien die Werke deshalb gleich aus zweierlei
Gründen – in formaler Hinsicht, aber auch wegen der intellektuellen Botschaft,
die in ihnen steckt.
„Karl Röhrig ist die richtige Antwort auf Arno Breker“, betont
Finckh. Während Breker für „die Propaganda und Massenverdummung des Dritten
Reichs“ stehe, habe Röhrig deutlich Stellung bezogen und die Gegenposition
vertreten. Seine Gesellschaftskritik musste jedoch zwangsläufig verpuffen: Zu
Röhrigs Lebzeiten konnten die kleinformatigen Karikaturen keine große Wirkung
entfalten. „Hätte er sie öffentlich ausgestellt, wäre er wohl im KZ gelandet“,
sagt Finckh. Umso wichtiger ist dem 59-Jährigen nun der Rückblick: „Wir wollen
zeigen, was Röhrig im Verborgenen geleistet hat.“
30 Jahre sind seit der letzten großen Röhrig-Ausstellung
vergangen. Wieder ist es Gerhard Finckh, der das Ansehen des fast Vergessenen
erhöhen möchte. Um Röhrigs „herausragende Bedeutung“ zu würdigen, hat er einen
guten Teil der 20 Skulpturen auf eine Plattform stellen lassen. Wobei der
Direktor passenderweise Farbe bekennt: Die Podeste sind rot – rot wie die
Liebe.
Karl Röhrig wurde 1886 in
Eisfeld (Thüringen) geboren. Er stammt aus einer Gärtnerfamilie. Zunächst
arbeitete er als Modelleur in verschiedenen Porzellanmanufakturen, 1911 zog er
nach München und begann ein Studium an der Kunstgewerbeschule. Die Teilnahme am
Ersten Weltkrieg war ein rigoroser Einschnitt: Er kehrte als Pazifist und
Sozialist zurück. Nach dem Ende des Studiums (1926) arbeitete er als freier
Bildhauer in München. Seine Freundin Rosel konnte er aus finanziellen Gründen
nicht heiraten. Ebenfalls an fehlenden Mitteln scheiterten Bewerbungen um
Stellen in den USA, Afrika und der Sowjetunion – Röhrig blieb nur die innere
Emigration. 1930 trat er der Münchner Künstlervereinigung „die juryfreien“ bei.
1933 wurde er deren Präsident. Doch kurze Zeit, nachdem er somit den
beruflichen Höhepunkt erreicht hatte, wurde die Vereinigung vom NS-Regime
aufgelöst. 1944 wurde er erneut eingezogen und geriet während des Zweiten
Weltkriegs in Gefangenschaft. Weihnachten 1945 kam er zurück: Nach der
persönlichen Nullstunde – Wohnung und Atelier waren zerbombt – „kam er nie
wieder so richtig auf die Beine“, wie Gerhard Finckh bedauert. 1972 erhielt
Röhrig den Schwabinger Kunstpreis – im selben Jahr starb er.
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